Hütehunde und ihre Kollegen : Arbeitshunde an der Herde

 

 

Viele Hundebesitzer sind sich über den Ursprung der Hütehunde, Treibhunde, Herdenschutzhunde als Gebrauchshunde nicht im Klaren. Sie sind sich dessen nicht bewusst, dass auch ihr eigener Hund Anlagen für diese Arbeit noch in sich trägt.

 

Oft sagen Kunden zu mit, sie hätten einen Hirtenhund oder einen Schäferhund. Genauere Nachfrage meinerseits ergibt meist, dass es dann entweder ein Herdenschutzhund ist oder ein Treibhund oder ein Hütehund oder….

 

Um dieses Durcheinander einmal auf zu lösen möchte ich kurz definieren, welche Arbeitshunde es gibt die an einer Herde arbeiten.

 

 

Hirtenhunde:

Ist seinem Wortstamm nach ein “Hund, der vom Hirten an seiner Herde“ als Gebrauchshund eingesetzt wurde. Dies waren Hunde die den Hirten begleiteten, die Herde bewachten aber auch trieben.

Bald kam es aber zu Spezialisierungen der Hunde nach ihrer Arbeit: Hütehunde, Treibhunde und Herdenschutzhunde.

 

Hirtenhunde = Herdenschutzhunde

Heute bezeichnet man Hirtenhunde = Herdenschutzhunde ausschließlich jene Hunde, die als Begleitung der Hirten die Herde, aber auch den Hirten schützen. Diese Hunde beschützen eigentlich nicht die Herde selber. Sondern sie sind sehr territorial veranlagte Hunde, die eben ihr Territorium beschützen, wenn sich nun eine Schafherde oder das Bauernhaus in ihrem Territorium befindet, dann wird es mit geschützt. Herdenschutzhunde arbeiten überwiegend alleine und sehr selbstständig. Die Kooperationsbereitschaft mit dem Menschen war zu keinem Zeitpunkt Zuchtziel, dies erklärt die große Eigenständigkeit und schwere Trainierbarkeit dieser Hunde. Nicht Schönheit oder die Farbe spielen eine Rolle, sondern Gebrauchstüchtigkeit. Sie sind bei der Wanderung der Herden an allen Seiten und innerhalb der Herde zu finden. Ihre Fellfärbung ist der Fellfärbung ihrer Herden angepasst. Meist hell mit mehr oder weniger dunklen Flächen.

Owtscharka, Do-Khyi, Akbash, Tornjak, Kuvasz,…

 

Treibhunde und Kuhhunde

Darunter verstand man mal die Hunde, die den Viehhändlern beim Treiben der Tiere halfen, meistens Großvieh. In Deutschland war das der Rottweiler, in Italien Cane Corso. Sie arbeiten an der Seite oder hinter der Herde und treiben diese auf die Weide, wieder nach Hause oder zum Schlächter. Sie sind schnelle und agile Hunde, die viel mit Stimme und Zähne arbeiten. Es sind sehr mutige Hunde, die sich nicht vom Großvieh einschüchtern lassen dürfen. Der Australian Cattle Dog und Enttlebucher Sennenhund sind die bei uns wohl bekanntesten Vertreter. Der Bouvier des Flandres, der Flandrische Treibhund ist bei uns weniger bekannt.

 

Hütehunde = Schäferhunde

Hütehunde hüten die Herde. Sie halten die Schafherde zusammen und treiben sie dort hin, wo der Schäfer sie haben will. Damit sich die Herden nicht verteilen und verlaufen, damit die Äcker nicht kahlgefressen werden arbeiten sie von der Seite und von hinten umkreisen die Herden, sind aber nie zwischen den Tieren. Als Schäferhunde wurden die Hütehunde früher bezeichnet. Aber seit Rittmeister Max v. Stephanitz diese Schäferhunde als Diensthunde entdeckte ist dieser Begriff eher zu einer Rassenbezeichnung geworden. Somit ist der Ausdruck Hütehunde heute gebräuchlich und man weiß sofort von welchen Rassen gesprochen wird: Australian Sherperd, Altdeutscher Hütehund, Harzer Fuchs,..

 

 

Schafgebrauchshunde = Koppelgebrauchsunde

Der Koppelgebrauchshund agiert auf Distanz mit dem Auge und arbeitet an kleineren Gruppen auf den Weiden. Er ist sehr talentiert für das Zusammensuchen verstreuter Schafe auf unwegsamem Gelände. Sie arbeiten an und in der Herde und sind Spezialisten für das Sheep handling : das präzise Abtrennen, umtreiben und Einpferchen kleinerer Schaftruppen. Dafür ist der Border Collie bekannt.

 

 

Die Einteilung existiert natürlich nur auf dem Papier so korrekt. In Wirklichkeit werden die Begriffe vermischt angewandt, und es ist auch so, dass viele dieser Hunde nicht nur zum Hüten eingesetzt wurden, sondern auch den Hof bewachten wie z. b. der

 

Appenzeller: Er arbeitet vor allem als Kuhtreiber mit Stimme und Zähnen, war aber auch als Wachhund auf dem Hof gut einsetzbar. So muss man sich bewusst sein, wenn man sich einen Vertreter diese Rasse nimmt, dass der vor allem “viel Gegend und wenig Mensch“ gewöhnt war, dort wo kläffen kein Problem darstellte. Ähnlich auch der

 

Mudi: Dieser kleine (ca 12kg) ungarische Hund ist ein wahrer Allrounder und so wird er auch eingesetzt. Vom Treiben von Vieh jeder Größe, das Hüten der Herden bis zum Bewachen von Haus und Hof. Aber auch für die Treibjagd auf Wildschweinen wird er verwendet und so verwundert es nicht wirklich, dass die Vertreter der Mudis kleine, aber sehr mutige, zähe und draufgängerische Hunde sind, die vor allem durch Einsetzen ihrer Stimme ihre Aufgaben als Treibhund genauso gut erledigen können wie als Wach- und Alarmhund. Und genau dieses Einsetzen ihrer Stimme kann in einer Stadtsiedlung oder Stadthochhaus zum Problem werden. Das lautstarke Melden kann auch bei einem in letzter Zeit so beliebten Stadthund extrem störend wirken. Der

 

Aussie ist ebenfalls ein sehr vielseitig einsetzbarer Hund. Er soll die Herde bewegen aber auch bewachen und durch laut bellen signalisieren, dass sich etwas Ungewöhnliches der Herde, aber auch dem Haus oder Hof nähert. Der Aussie geht beim Hüten nahe an die Herde heran, bewegte sie durch schnappen und bellen. Ein Australian Sherperd soll selbständig entscheiden ein versprengtes Tier zur Herde zurück zu holen oder zu melden, wenn etwas seine Herde bedroht. Er ist ein Hund der alles im Blick behält. Ganz das Gegenteil ist der

 

Border Collie, der NIE zu Hofbewachung eingesetzt wurde. Er ist ein wahrer Spezialist in großen unübersichtlichen Gebieten versprengte Tiere zu finden und „sanft“ zurück zu bringen. Er arbeitet auf Distanz mit den Augen und ist auch einer der wenigen an der Herde arbeitenden Hunde, die auch von vorne auf die Herde zukommen. Da der Border Collie nie als Wachhund eingesetzt wurde, regiert er viel sensibler und ist schnell über Druck beeindruckbar. Eine weitere Rasse, die bei uns in Mitteleuropa immer mehr Freude findet ist der

 

Australian Cattle Dog. Er ist ein sehr robuster, hart treibender und energischer aber stummer Treibhund. Der Ursprung dieser Rasse, je nach Quelle die man zu Rat zieht, liegt im Drover-Dog, im Dingo, aber auch im Bullterrier und Kelpie. Egal – sie sind auf jeden Fall harte und taffe Hunde, arbeitswütig und extrem wachsam. Fremden gegenüber sind sie reserviert und misstrauisch. Trotz seines kräftigen, kompakten, symmetrischen und muskelbepackten Körperbaus ist der Cattle Dog erstaunlich wendig und beweglich.

 

 

Nun nach dem Überblick über „die an einer Herde arbeitenden Rassen“ möchte ich jetzt speziell auf die Hütehunde und Koppelgebrauchshunde eingehen.

 

 

Wenn man sich heute einen Aussie oder Border nimmt hört man (oft schon von den Züchtern):“ den Hund musst du dauernd beschäftigen, der braucht total viel Bewegung – na mindestens 5 Stunden am Tag muss der unterwegs sein. Oder noch besser du machst Agility und Flyball und und und ….. Genau ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich der süße Welpe zum Problemhund für den Menschen. Nein – anders formuliert: Genau ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich der Hundehalter zum Problemhundehalter für den Hund. Denn genau ab diesem Zeitpunkt wird der Hütehund nur mehr auf seinen Arbeitseifer reduziert. Er wird nicht mehr als normaler Hund gesehen, sondern als ein Hund, der sich ständig beweisen muss: Denn Hütehunde sind ja extrem intelligent, extrem arbeitseifrig, extrem bewegungsbedürftig, extrem….

NEIN!!!! Hütehunde sind wie andere Hunde: intelligent: ja – aber je nach Charakter und Förderung; arbeitseifrig: ja – aber nicht 24 Stunden am Tag; bewegungsbedürftig: Ja – aber nicht non-stop.

JA !!!!!!! Hütehunde sind wie andere Hunde: Sie brauchen einen ruhigen Umgang durch den Besitzer, der den ruhende Pol in seinem Hundeleben darstellen soll. Sie brauchen eine faire, liebevolle, aber auch konsequente Erziehung – so wie jeder andere Hund auch.

Wenn ihnen das nicht geboten wird, dann finden sie keinen Halt in ihrem Leben und das ist für diese sensiblen Tiere extrem verwirrend.

 

Es ist also meist die Erwartung der Hundebesitzer die auf die Realität prallt – und wer bleibt bei diesem Crash auf der Strecke? – der Hund!!!

Man erwartet sich eine Nähe seines Hundes – aus Bindung kann Abhängigkeit werden, die dann in Trennungsangst mündet.

Man erwartet sich leichte Führbarkeit – die dann aus Mangel an Konsequenz zu schlecht erzogenen Hunden führt.

Man erwartet sich einen sportlichen Arbeitshund – der dann aufgrund von Über / Unterforderung unerwünschte Verhaltensweisen zeigt.

Man erwartet sich einen guten Familienhund – der dann die Besucher stellt.

 

Eines muss klar sein, wenn man einen Hütehund in seinen Familienkreis aufnimmt:

Hütehunde sind ganz normale Hunde mit Besonderheiten.

 

Sie haben eine geringere soziale Offenheit als z.B. sozial jagende Hunde (Beagles). Ein fremder Hund stellt für die Hütehunde Ablenkung von ihrer Arbeit und eine eventuelle Gefahr für ihre Herde dar.

 

Sie sind immer online und nehmen die Reize ihrer Umgebung (Geräusche, Gerüche, optische Reize) oft viel schneller und intensiver war als andere Hunderassen – sie sind förmlich auf der Suche nach für sie wahrnehmbaren Reizen. Ihre Antwort auf diese Reize wäre aber meist ein (von den Menschen) unerwünschtes Normalverhalten. Somit werden sie ständig abgestoppt, sie müssen ihre Impulse kontrollieren. Doch jede Impulskontrolle erzeugt einerseits das Stresshormon Adrenalin andererseits Frustration. Doch Impulskontrolle ist ein endliches Gut. Wenn durch häufig aufeinander folgende Ereignisse das Glas der Impulskontrolle leer ist dann muss es durch Ruhe und impulsfreie Zone wieder gefüllt werden.

 

Hütehunde haben keine Bremse eingebaut. Man könnte auch sagen bei ihnen gibt es ein riesengroßes Gaspedal, aber das Bremspedal ist verschwindend klein, ja so klein, dass es die meisten Hütehunde nicht finden. Somit ist es wichtig das „Bremsen“ mit diesen Hunden zu trainieren und nicht das „Gasgeben“. Das bedeutet: der Hund soll zuerst lernen zu entspannen, dann erst, wird er an emotional actionreichen Situationen herangeführt.

Das Training für zukünftige Agility-Weltmeister sieht leider meist anders aus: Im sogenannten Babyagility ( ja das ist der neueste Hit) wird dem Welpen gezeigt wie aufregend und actionreich das Flitzen durch den Tunnel oder das Laufen über Stangen sein kann. Und dann, wenn der kleine Junghund Gefallen an dem ganzen Trubel gefunden hat zwingt man ihn zur Ruhe. Das ist so, wie wenn man eine Dampflokomotive voll aufheizt und in diesem Zustand in die Garage stellt. Irgendwann wird sie explodieren. Nur wenn der Junghund dann „in die Luft geht“ wird das als Problemverhalten angesehen.

 

 

Nun zu einigen „typischen Aussagen“ über Hütehunde:

 

Hütehunde brauchen permanent Bewegung, weil wenn sie die Schafe hüten, dann sind sie ja auch dauernd am Arbeiten.

Nein. Die Schafe werden auf ihre Futterweide getrieben. Dann hat der Hund Ruhepause. Nur bei Bedarf wird ein versprengtes Schaf zurückgeholt. Auch wenn es ein Wanderschäfer ist, ist die Herde nicht ständig in Bewegung. Wird eine gute Weide gefunden, dann verweilt die Schafherde oft tagelang dort.

 

Hütehunde sind sehr anhängliche Hunde, weil sie immer mit dem Schäfer unterwegs sind.

Stimmt nur bedingt. Es ist richtig, dass durch züchterische Selektion jene Hunde weiterverpaart worden sind, die gut lenkbar sind durch den Schäfer. Aber einen „Kadavergehorsam“ wie es sich manche Hundebesitzer von ihren Hunden erwarten wäre für einen Schäfer kontraproduktiv. Der Hund hat auch Entscheidungen selber zu treffen.

 

Hütehunde jagen nicht.

Doch- Hütehunde jagen, denn das Hüten ist eine Sequenz der Handlungskette „Jagen“:

Aufspüren der Beute – Blickkontakt zur Beute – Anpirschen und Einkreisen – Hetzen – Angreifen und Töten – Zerlegen. Über Jahrzehnte wurde bei den Hütehunden eben diese Jagdsequenzen gefördert: Anpirschen und Einkreisen und Hetzen – lediglich das Töten wurde „herausgezüchtet.“ Es wurden konsequent, so grausam es auch klingt, die Hunde die wirklich zupackten und töteten eliminiert. Denn der Schäfer konnte einen Hütehund der seine Schafe tötet nicht brauchen. Das eigentliche Problem liegt aber heutzutage in der Zucht der sogenannten Showlinien. Denn da wird nicht mehr auf Arbeitsqualität der Hunde wertgelegt, sondern nur mehr auf Aussehen. Somit kann es vor allem bei den Hunden der Showlinien passieren, dass sie alle Sequenzen des Jagens durchlaufen und das Tier auch töten.

 

Hütehunde sind freundliche, aufgeschlossene Hunde, weil sie durch die Dörfer gezogen sind.

Nein – Hütehunde sind meist misstrauisch und sozial wenig aufgeschlossen sowohl Menschen als auch Hunden gegenüber. Das hat auch seine Berechtigung. Wie wir oben schon besprochen haben sehen sich die Hütehunde für ihre Herde verantwortlich. Einige Rassen, wie der Mudi oder der Aussi wurden sogar als Warnhunde eingesetzt. Somit ist es notwendig für diesen Job ein gesundes Misstrauen allem Fremden gegenüber zu besitzen. Natürlich sieht dann auch der „Familienaussie“ in der Stadt eine Gefährdung wenn Fremde zu Besuch kommen. Da ist die Souveränität des Hundehalters gefragt. Er muss dem Hund klar und verständlich erklären, dass diese Person in Ordnung ist. Aber selbst dann wird der Hütehund meist genau beobachten was der „Eindringling“ macht.

 

Hütehunde sind intelligent und lernen schnell.

Es ist richtig, dass Hütehunde aufgrund ihrer schnellen Aufnahmefähigkeit gut lernen. Doch auch da gibt es die Kehrseite der Medaille. Die meisten Hunde lernen mit selektiver Aufmerksamkeit. Das bedeutet, dass das was im Focus des Scheinwerfers ist wird exakt gelernt und die Ereignisse im Hintergrund werden mehr oder weniger mitgelernt. Durch die extreme Vigilanz haben Hütehunde einfach gelernt ihre Scheinwerfer hin und her schweifen zu lassen. Somit gibt es für sie kein Hintergrund lernen, sondern alles liegt im Focus des Scheinwerfers und wird dementsprechend verarbeitet. Um eine wirklich exakte Ausführung zu bekommen, ist es notwendig dem Hütehund ein strukturiertes und konzentriertes Arbeitsumfeld zu bieten.

 

Hütehunde sind oft nervös und aggressiv.

Wie man den Welpen bettet, so liegt dann der erwachsene Hund. Natürlich durchlaufen Welpen der Hütehunderassen dieselben Entwicklungsphasen wie andere Hunde. Sie brauchen jedoch mental länger erwachsen zu werden und ihre Angstphasen sind zum Teil sehr stark ausgeprägt. Bietet man einem Welpen – das gilt für jeden Welpen jeder Rasse oder Mischung – ein ausgeglichenes Welpenleben mit viel Ruhephasen kann man sicher gehen, dass der erwachsene Hund ausgeglichen und nervenstark wird. Bei Hütehundwelpen ist genau darauf zu achten, das man das wie oben schon besprochene Bremspedal wirklich fördert und nur das vorhandene Potential der Aktivität nutzt,. Da Hütehunde meist mentale Spätzünder sind, ist die Gefahr der Überforderung im Junghundealter sehr groß. Man denkt man hat schon einen erwachsenen Hund vor sich, in Wirklichkeit ist er emotional gesehen noch ein Kind. Wird er in diesem Entwicklungsstadium mit Aufgaben konfrontiert, für die er keine eigene richtige Lösung finden kann, ist er überfordert. Passiert das oft, dann ist er frustriert, nervös vor der nächsten Aufgabenstellung und eventuell aggressiv in seiner Antwort.

 

 

Wie wir sehen, sind Hütehunde ganz normale Hunde mit rassespezifischen Besonderheiten. (So wie jede Rasse ihre spezifischen Besonderheiten hat.) Wenn man sich dessen bewusst ist, sie akzeptiert und danach handelt, wird ein Zusammenleben mit einem Hütehund eine angenehme Herausforderung werden.

 

 

.